Erst weniger verdienen, dann mehr Steuern zahlen
Wer in der Finanzbranche arbeitet, sollte genau hinschauen: Die Coronavirus-Krise könnte der Sargnagel sein für eine Arbeitswelt, die schon vorher am Zerfallen war. Konkret geht es um die Arbeitswelt, in der es Usus war, das gesamte Berufsleben auf 20 (der weniger) Jahre zu komprimieren – 20 Jahre mit überdimensionierten Arbeitszeiten, aber auch mit überdimensioniertem Einkommen, die darin münden, eine Stelle als „Non-Executive Director“ anzunehmen oder etwas komplett anderes zu machen.
In den sechs Jahren vor 2008 verliefen Karrieren im Finanzwesen üblicherweise nach diesem Muster. Es waren Jahre, die laut dem ehemaligen Head of Global Equities Trading der Deutschen Bank Kerim Derhalli, keineswegs als normal gelten können. 2017 erklärte er im Gespräch mit uns: „Wer während dieser Blase angefangen hat, dachte dass dies der Normalzustand sei, doch das war es nicht.“ Derhalli weiter: „Bei Banken hat man nicht immer am besten verdient. Sie haben nicht immer hohe Gewinne eingefahren – die frühen 2000er waren einfach eine kurze Phase der Exzesse.“
Seit der Finanzkrise sind die Gehälter im Bankwesen gesunken, und zwar sowohl relativ als auch absolut. Tech-Profis klagen regelmäßig, dass man bei großen Tech-Firmen besser verdiene als bei großen Finanz-Unternehmen und fragen, warum man angesichts der niedrigeren Gehälter überhaupt bei einer Bank arbeiten sollte.
Wer jedoch einen Front Office Job mit Kundenkontakt hat, verdient immer noch sehr gut. Bei der Credit Suisse etwa verdienten letztes Jahr 1.398 Mitarbeiter im Durchschnitt 1,1 Mio. CHF (1,1 Mio $). Bei der Deutschen Bank gab es 383 Mitarbeiter, die 2019 mehr als 1 Mio. € verdienten, bei 69 Mitarbeitern waren es sogar über 3 Mio. €. Branchenweit gibt es tausende von mittelklassigen Investmentbankern, die noch immer über 270.000 £ (295.000 $) verdienen. Gehälter in dieser Höhe reichen zwar nicht, um sich nach kürzester Zeit zur Ruhe zu setzen, liegen aber immer noch deutlich über dem was anderswo verdient wird und rechtfertigen die Abstriche durch Überstunden und eingeschränkte Lebensqualität.
Die Coronavirus-Krise droht, all dies auf den Kopf zu stellen. Der Stillstand des öffentlichen Lebens in den westlichen Volkswirtschaften dauert noch nicht einmal einen Monat lang an und die Boni für 2019 wurden eben erst ausgeschüttet. Und doch ruft die Bank of England Banken bereits dazu auf, Boni für 2020 zu kürzen. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde schlägt vor, Boni dieses Jahr auf einem „konservativen Niveau“ zu halten.
Variable Gehaltsanteile kürzen dürften Banken auch ohne Aufforderung durch die Behörden. Der neue CEO der Credit Suisse erklärte gestern, dass er für 2020 Bonus-Kürzungen erwäge, um „Solidarität zu zeigen“. Analysten aus dem Europageschäft bei Goldman Sachs gehen davon aus, dass die Banken drei Jahre lang unter Coronavirus-bedingten Umsatzeinbußen leiden könnten. Die Renditen auf materielles Kapital sind auf durchschnittlich 3 Prozent gesunken und für einige Banken in diesem Jahr negativ geworden. Auch US-Banken sind nicht immun – Morgan Stanley geht davon aus, dass Goldman Sachs 2020 40 Prozent weniger verdienen wird. Angesichts dieser Umstände bleibt Banken kaum etwas anderes übrig, als Boni auf ein Minimum zu kürzen – an den fixen Gehaltsanteilen lässt sich nicht rütteln, da die meisten großen Banken zugesichert haben, dass es durch den Virus nicht zu Stellenstreichungen kommen werde.
Dass dieses Jahr quasi flächendeckend individuelle Leistung nicht mit Bonuszahlungen honoriert wird, könnte die Unternehmenskultur im Banksektor dramatisch verändern. Einige Banker, die an Flow Trading Desks und in der Emission von Investment-Grade-Schuldtiteln tätig sind, waren in den letzten Wochen enorm erfolgreich, haben davon allerdings nichts: Mit den eingefahrenen Gewinnen werden nun die Kollegen alimentiert, die hauptsächlich herumsitzen und (außer der Teilnahme an Zoom-Meetings) wenig zu tun haben – Mitarbeiter, die normalerweise entlassen worden wären.
Und auch wenn man 2020 oder in den Jahren danach gut verdient – die Staatsschulden steigen. Die Deutsche Bank schätzt, dass sich das Staatsdefizit der USA im Jahr 2020 auf 3 Billionen $ ausweiten wird, das sind fast 15 Prozent des nominalen BIP. Die Staatsschulden sind damit doppelt so hoch wie während der Finanzkrise im Jahr 2009. Für Deutschland und Frankreich erwartet die Deutsche Bank ein Defizit von 7,3 bzw. 9,5 Prozent des BIP (zum Vergleich: 2019 gab es hier einen Überschuss von 1,3 bzw. ein Defizit von 3,2 Prozent). In Großbritannien hat Finanzminister Rishi Sunak 15 Prozent des Nationaleinkommens bereitgestellt, um die Auswirkungen des Virus auf die Haushaltsfinanzen abzumildern. Je länger die Lohngarantien seitens der Regierung aufrecht erhalten werden, desto höher werden am Ende die Kosten: UBS rechnet vor, dass Großbritannien jede Woche 0,225 Prozent seines BIPs hierfür ausgibt. Diese Kosten sind unvermeidbar: Werden Haushalte nicht gestützt, können Gläubiger nicht bedient werden – und es folgt eine Finanzkrise.
Auf lange Sicht ist eines sicher: Die Steuern steigen. Dies schreibt auch Bobby Vedral, ehemals Head of Market Strats bei Goldman Sachs, in seinem heutigen Newsletter. Wer zu den wenigen gehört, die – egal wo auf der Welt – sechsstellig verdienen, den dürften höhere Steuern mit hoher Wahrscheinlichkeit als erster treffen.
Für Top-Verdiener könnten die Folgen schmerzhaft werden, vor allem in Großbritannien, den USA und Deutschland – dort sind laut einer aktuellen Studie der Deutschen Bank nur wenige bereit, zugunsten der Virus-Bekämpfung auf 10 Prozent ihres Einkommens zu verzichten – und zwar unabhängig davon, wie viel die Befragten verdienen. Mit dem Anstieg der Todeszahlen könnte sich dies allerdings ändern: In Spanien und Italien ist die Bereitschaft, finanzielle Einbußen hinzunehmen höher (oder sogar hoch).
Wenn der Virus abflacht, könnte sich in der Finanzwelt die Ansicht durchgesetzt haben, dass es – anders als bisher – weniger um individuellen Gewinn, sondern um Solidarität geht, und zwar sowohl gegenüber Kollegen als auch gegenüber der Gesellschaft allgemein. Und wem das nicht passt? Der wird sich damit abfinden müssen, denn: Die neue Wirklichkeit wird auch vor ihm nicht Halt machen. Willkommen in der Zukunft.
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