Abschied bei Goldman Sachs: Personalmangel ist Teil des Modells
Kündigungsschreiben bei Bankenjobs sind fast ein eigenes literarisches Genre. Eines der berühmtesten Schreiben stammt von Greg Smith, der 2012 als VP bei Goldman Sachs gekündigt hatte, mit seinem Kündigungsschreiben in die New York Times kam und daraufhin einen großen Buchvertrag bekam. 2016 folgte dann das Kündigungsschreiben von Deutsche Bank-Associate Bill Kennan, in dem er einräumte, dass er die „110-Stunden-Wochen in der Zeiterfassung auch mit obskuren Aufgaben“ erreicht habe.
Die Abschiedsmail des Frankfurter Executive Director (ED) Luca Kleinlugtenbelt von Goldman Sachs ist nicht so kritisch wie das von Greg Smith und auch keine Beichte wie das von Bill Kennan, enthält aber dennoch die ein oder andere mögliche Stichelei gegen das Unternehmen, in dem Kleinlugtenbelt die letzten sechseinhalb Jahre im Bereich M&A gearbeitet hat.
Trotz seines rasanten Wachstums habe Goldman Sachs „die Teams relativ klein gehalten“, schreibt Kleinlugtenbelt. Es läge in der Natur der Sache, dass diese „meist unterbesetzt“ seien und daher „Leute an die Grenzen ihrer Komfortzone bringen“. Die technologischen Systeme von Goldman Sachs seien nicht immer die besten, schreibt er weiter – und zitiert einen nicht genannten MD. Die technologischen Unzulänglichkeiten müssten daher durch die Goldman-Sachs-Mitarbeitenden kompensiert werden. Und Goldman Sachs habe die Ungeduld institutionalisiert: „Wenn man GS verlassen hat, merkt man, dass man schon nervös wird, wenn jemand nach zweimal Klingeln nicht ans Telefon geht, oder dass es kaum jemand versteht, dass man bei einer E-Mail schon fünf Minuten später nachfasst.“
Luca Kleinlugtenbelt wollte sich auf unsere Anfrage hin nicht äußern und aus seiner Abschieds-Mail (die wir unten im gesamten Wortlaut veröffentlichen) geht nicht hervor, wohin er als nächstes geht. Goldman Sachs selbst ließ eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.
Alles in allem ist klar, dass Kleinlugtenbelt seine Zeit bei Goldman Sachs wertschätzt und das Unternehmen als ein besonderes sieht. Es ist auch klar, dass er weiß, dass er sich nach seinem Weggang bei Goldman Sachs umstellen muss – andere Arbeitgeber erwarten nicht das gleiche Maß an Produktivität oder legen nicht ganz so viel Wert auf Details. Wer Goldman Sachs verlässt, betritt ein fremdes Land. Wie die Forscherin und ehemalige Goldman-Sachs-Associate Alexandra Michel vor einigen Jahren darstellte, nehmen Menschen, die das Banking hinter sich gelassen haben, die extremen Arbeitspraktiken in ihre neuen Jobs mit, auch wenn diese in anderen Branchen sind.
Goldman Sachs hat im Januar diesen Jahres 3.200 Stellen abgebaut. Kleinlugtenbelt sagt nicht, ob er von diesem Prozess, der in Deutschland wahrscheinlich länger gedauert hat, betroffen ist. Er sagt jedoch – ironisch – dass man ihm nicht zu sehr nachtrauern sollte, weil er ohnehin nicht so gut gewesen sei...
Was auch immer er als nächstes macht: Viel Glück!
Luca Kleinlugtenbelts Abschieds-Email bei Goldman Sachs im Volltext:
Es ist Zeit, sich (vorerst) zu verabschieden...
Als ich vor einigen Jahren das Frankfurter Goldman-Sachs-Büro zum ersten Mal betreten habe, habe ich nicht darüber nachgedacht, was nach GS kommen würde, aber ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass ich jetzt schon diese E-Mail schreiben würde. GS wird von vielen als Boxenstopp auf dem Weg nach oben in der Maslowschen Bedürfnishierarchie gesehen – oder wie eine große deutsche Zeitung einst schrieb: „bei Goldman Sachs gehen die Leute nicht aus Altersgründen, sondern weil sich neue Chancen bieten“. Und so ist es jetzt auch für mich an der Zeit, neue Chancen zu ergreifen.
Bevor ich mich verabschiede, möchte ich auf meinen ersten Kontakt mit GS zurückblicken: Die Vorstellungsgespräche. Viele Interviewer:innen stellen die Frage „Warum willst du zu Goldman Sachs?“ – und die meisten Antworten drehen sich um das, was in den Infoboxen auf gs.com/careers zu lesen ist und sich mit jedem Website-Update verändert. Doch was ist es wirklich, das Goldman Sachs außergewöhnlich macht? Nachdem ich ein paar Jahre im Unternehmen war, denke ich, dass ich endlich eine Antwort geben kann:
Es ist die einzigartige GS Kultur.
...Proaktiv sein
Viele globale Unternehmen geben ein striktes Framework an Aufgaben und Business-Linien vor. Goldman Sachs dagegen ermutigt seine Mitarbeitenden dazu, proaktiv zu sein – und lebt davon. Indem wir das schon den Praktikant:innen vermitteln, säen wir das unternehmerische Mindset, von dem alle während ihrer Zeit bei GS – und auch darüber hinaus – noch profitieren.
...Aufdringlichkeit
Als ich bei GS angefangen habe, was „chasing“ für mich ein Fremdwort. In meinen ersten Wochen als Praktikant habe ich dann aber recht schnell gelernt, dass eine E-Mail zu verschicken nicht bedeutet, dass die Aufgabe erledigt ist, sondern vielmehr heißt, dass die Arbeit erst begonnen hat. Wenn man GS verlassen hat, merkt man, dass man schon nervös wird, wenn jemand nach dem zweiten Klingeln nicht ans Telefon geht, oder dass es kaum jemand versteht, dass man bei einer E-Mail schon fünf Minuten später nachfasst. Mit der Aufdringlichkeit, die bei GS üblich ist, außerhalb von GS zu agieren, ist ein schmaler Grat.
...Hingabe zum Detail
Wer denkt, dass man von der Universität kommt und darum ein Auge fürs Detail hat, merkt nach ein bis zwei Monaten bei GS, dass dem nicht so ist. Ob im IBD oder GMD, die Liebe zum Detail schützt uns einerseits vor Fehlern und finanziellen Verlusten und hilft uns andererseits – und das ist noch wichtiger – unsere Kunden bestmöglich zu beraten, was uns wiederum vom Rest der Branche abhebt.
...Teamgeist
Obwohl das Unternehmen mehr als 150 Jahre alt ist und auf über 50.000 Mitarbeitende angewachsen ist, werden die Teams relativ klein gehalten und sind damit naturgemäß meist unterbesetzt. Dadurch werden die Mitarbeitenden aus ihrer Komfortzone geholt und deren Produktivität auf neue Levels gebracht, aber – noch wichtiger –, es wird so ein echter Teamgeist und ein „Wir“-Gefühl innerhalb der Gruppe geschaffen. Nur wenn man mit seinem Team zusammenarbeitet, kann man 110 Prozent erreichen.
...Jede:r einzelne
GS lebte und lebt von seinen Mitarbeitenden, oder wie ein nicht genannter MD einst sagte: „Wir haben vielleicht nicht die besten technischen Systeme, aber wir stellen einfach die besten Leute ein, um das zu kompensieren.“ Es gilt sicherzustellen, dass jede Personalentscheidung im Kern auf dem grundlegenden Wunsch beruht, die besten Talente zu holen – und nur die besten –, auch wenn das bedeutet, dass wir im sich zuspitzenden Kampf um die besten Köpfe die Extrameile laufen müssen.
Wir sollten sicherstellen, dass der Zeitgeist nur die Oberfläche, nicht aber den Kern verändert und die GS-Kultur dem Zeitgeist nicht zum Opfer fällt.
Ich wünsche allen den Erfolg, den sie verdienen! Vergesst nie, dass sich das GS-Rad immer weiterdreht – GS lebt von seinen Alumni genauso wie von seinen Angestellten. Und allen, die traurig sind, dass ich gehe, sei gesagt: I wasn’t that good anyway. ;)
Goodbye, auf Wiedersehen und hoffentlich bis bald.
Luca
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